„Die Geschichte der Kinsauer Zahnradbahn“
von Peter Rasch

Lokschuppen Kinsau, Foto Eon Strecke der Zahnradbahn, Foto Eon Zahnradbahnlok "Berta", Foto Krönauer
Zahnradbahnlok von Krauss-Maffei, Foto Markus Hehl Schnittzeichnung Lokomotive Esslingen, Foto Eon

Zahnradbahn Kinsau, Bild Archiv Gemeinde Kinsau



Entstehung der Holzstofffabrik

Im Zeitraum von Ende 1897 bis Anfang 1898 erwarb die Kemptener Papierfabrik Hegge die Erhardsche Sägemühle am Lech südlich der Ortschaft Kinsau. 1901 beantragte die Papierfabrik Hegge den Bau einer Holzstofffabrik und erhielt am 16.07.1902 die erforderliche Genehmigung vom Bezirksamt Schongau. Die Lage war für ein derartiges Vorhaben hervorragend geeignet, denn der Lech lieferte die benötigte Wasserkraft für die Maschinen, ein Bach sauberes Wasser zur Gewinnung von Zellulose. Holz wurde entweder über den Lech herangeflößt oder kam direkt aus den umliegenden Wäldern, zum Beispiel dem Heiliggeistwald oder dem Steller Wald. Bedingt durch die schlechte Geschäftslage verzögerte sich der Bau.
Erst von 1905 bis 1907 wurde die Holzstofffabrik Kinsau durch die Philipp Holzmann & Cie GmbH aus Frankfurt am Main gebaut. Am 12.02.1907 wurde mit der Produktion im Werk Kinsau begonnen. Schon während der Planung der Fabrik stellte sich die Frage, wie das hergestellte Rohmaterial zur Papierherstellung nach Kempten transportiert werden sollte. Der Bahnhof Kinsau, Station der im Jahr 1886 in Betrieb gegangenen Strecke von Landsberg nach Schongau, lag rund zwei Kilometer entfernt im Westen. Allerdings betrug der Höhenunterschied zwischen der Holzstofffabrik und dem Bahnhof Kinsau ungefähr 75 Meter.

Streckenplanung
Als Transportmittel zum Bahnhof Kinsau kam dauerhaft nur eine Eisenbahn in Frage. Eine Dampflokomotive im Adhäsionsbetrieb war nicht in der Lage, eine derartige Steigung zu überwinden. Einzig eine Zahnradbahn konnte diese Aufgabe bewältigen; deshalb wurde umgehend die Planung für eine Zahnradbahn mit der Spurweite von 1.435 Millimetern in Auftrag gegeben. Nur auf diese Weise konnten Eisenbahnwagen der Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen bis zur Holzstofffabrik gebracht werden. Damit vermied man ein kostenintensives Umladen im Bahnhof Kinsau. Die Bahn sollte in etwa im ersten Drittel der Strecke am steilen Abhang zum Lechufer den größten Teil des Höhenunterschieds mittels Zahnradantrieb zurücklegen, während sie auf den verbleibenden zwei Dritteln der Strecke ohne Einsatz des Zahnradantriebs fahren sollte. Der notwendige Bauantrag für diese Eisenbahn wurde am 07.02.1906 bei den zuständigen Behörden vorgelegt und am 15.07.1906 genehmigt.



Streckenbau
Unmittelbar nach Vorlage der Baugenehmigung für die Zahnradbahn begannen die Bauarbeiten. Wegen des zeitnah vorgesehenen Produktionsbeginns der Fabrik wurde zeitgleich eine Lokomotive bei der Maschinenfabrik Esslingen in Auftrag gegeben. Die Maschinenfabrik Esslingen übernahm neben der Lieferung der Lokomotive auch den Bau der Gleisanlagen. Die gesamte Strecke hatte etwa eine Länge von 3,5 Kilometern, wobei der Abschnitt mit der größten Steigung (15 %) am Lechsteilhang mit einer Länge von rund 360 Metern mit einer Zahnstange (Leiterzahnstange Bauart Riggenbach) ausgerüstet wurde. In der Mitte der Strecke wurde ein beidseitig angebundenes Abstellgleis errichtet, wo Güterwagen abgestellt, Züge zerlegt und neu zusammen gestellt werden konnten. Bei den Menschen im kleinen Kinsau wurde dieser Bereich bald als Rangierbahnhof bezeichnet. Am 15.02.1907 wurde die Lokomotive von der Maschinenfabrik Esslingen geliefert.
Somit war die Strecke betriebsbereit, fast pünktlich zum Produktionsbeginn der Holzstofffabrik, der bereits drei Tage vorher angelaufen war. Aufgrund kleiner technischer Mängel der Lokomotive, es fehlten bei der amtlichen Abnahme die Schienenräumer und die obligatorische Glocke, konnte die Bahn dann aber doch erst am 26.07.1907 endgültig in Betrieb genommen werden. Deshalb musste der ab 12.02.1907 produzierte Holzstoff einige Monate mit Pferdewagen zum Bahnhof Kinsau gefahren werden.

Streckenbetrieb
Von Anfang an erwies sich die Kinsauer Zahnradbahn als relativ langsames Transportmittel; im Reibungsabschnitt erreichte die Bahn eine Geschwindigkeit von rund zehn Stundenkilometern, während sie im Abschnitt mit Zahnstange nur rund sechs Stundenkilometer fuhr. Ein Zug war mit drei Personen besetzt, einem Lokführer, einem Heizer und einem Bremser, der gleichzeitig auch Rangierer war. Die Bahn konnte pro Tag drei bis vier Wagen von der Holzstofffabrik zum Bahnhof Kinsau bringen. Den Hang hinauf bewältigte die Lokomotive nur einen Wagen, während talwärts zwei Wagen befördert werden durften. Da es 1908 zu einem schweren Unfall gekommen war, bei dem zwei Wagen zum Lech hinunterrollten und am Ende der Strecke zerschellten, war es ab dieser Zeit nur noch erlaubt, mit der Lokomotive talseitig des Zuges zu fahren. Die Gleise am „Rangierbahnhof“ wurden umgebaut. Im Jahr 1913 wurde bei der Lokomotivfabrik Krauss eine zweite Lokomotive beschafft und ein gemauerter Lokschuppen am Ende der Strecke in der Nähe der Holzstofffabrik errichtet (Bauantrag vom 07.03.1913). Der Erwerb der zweiten Lokomotive war aus zwei Gründen notwendig geworden: Zum einen, da die Esslinger Lokomotive teilweise überlastet war und sich dies negativ auf ihren Zustand auswirkte. Zum anderen, da die regelmäßigen Revisionen oft mehrere Monate in Anspruch nahmen und der Fahrbetrieb in dieser Zeit nicht unterbrochen werden konnte.
Die hohen Kosten für den Streckenunterhalt und das Personal bei der gleichzeitig geringen Transportleistung stellten die Wirtschaftlichkeit des aufwändigen Betriebs immer wieder in Frage. Deshalb wurde schon seit dem Ersten Weltkrieg in Erwägung gezogen, die ehemalige Erhardsche Sägemühle nicht nur als Holzstofffabrik, sondern auch als Elektrizitätswerk zu nutzen. Dies wurde ab 1922 realisiert und neben Holzstoff auch Strom erzeugt. Im Jahr 1929 kam es zur völligen Einstellung der Holzstoffproduktion und zur Demontage der Holzschleifer. An deren Stelle wurden Generatoren zur Stromerzeugung eingebaut. Die letzte Transportfahrt der Zahnradbahn datiert vom Mai 1929. Da nichts mehr zu transportieren war, entfiel die Notwenigkeit, die Zahnradbahn zu erhalten: Es folgte die Betriebseinstellung. Die Lokomotiven wurden an die Papierfabrik Albbruck, ein Zweigwerk der Gesellschaft für Holzstoffbereitung Basel, verkauft. Im Jahr 1932 demontierte man die Schienen und Schwellen und sprengte später die einzige Brücke der Strecke.

Streckenbeschreibung
Vom Fabrikgebäude der Holzstofffabrik am Werkskanal führte die Strecke nach Süden. Kurz vor der Überquerung des Quellenkanals begann der mit einer Zahnstange ausgestattete Streckenabschnitt. Mit deutlicher Steigung überwand die Strecke den steilen Lechhang. An der Hangkante schwenkte die Trasse in einem Geländeeinschnitt nach Westen. Am Ende des Abschnitts mit Zahnstange gab es eine kleine Brücke, über welche ein Feldweg führte. Die Bahn verlief nun fast Richtung Norden bis zum „Rangierbahnhof“. Von hier ging es wieder westwärts Richtung Bahnhof Kinsau. In einem Bogen schwenkte die Bahn nochmals nach Norden und lief auf die Fuchstalbahn zu. Am Bahnhof Kinsau endet die Strecke.

Hinweis des Verfassers Peter Rasch:
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in
„Die Nebenbahnen zwischen Ammersee, Lech und Wertach“
(Mit Ammerseebahn, Pfaffenwinkel & Co rund um den Bayerischen Rigi) von Peter Rasch
erschienen im EOS-Verlag - ISBN 978-3-8306-7455-9
Format 17,5 cm x 24,5 cm - 384 Seite
über 600 Abbildungen - 39,95 Euro
erschienen am 14.03.2011
erhältlich im Buchhandel

Konzeption:
Die
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